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Häufig gestellte Fragen: Kriterien für die Risikobewertung von Pflanzen, die durch gezielte Mutagenese, Cisgenese und Intragenese gewonnen werden

In einer heute veröffentlichten Stellungnahme schlagen Wissenschaftler der EFSA sechs Hauptkriterien für die Risikobewertung von Pflanzen vor, die unter Verwendung der gentechnischen Verfahren der gezielten Mutagenese, der Cisgenese und der Intragenese gewonnen werden. Die Europäische Kommission hat die EFSA um diese wissenschaftliche Beratung ersucht, um ihre laufende politische Initiative zu neuen genomischen Verfahren zu unterstützen.

  1. Was versteht man unter gezielter Mutagenese, Cisgenese und Intragenese?

Es handelt sich um gentechnische Verfahren, d. h. um Prozesse, die die genetische Struktur eines Organismus durch Modifizieren, Entfernen oder Einführen von DNA verändern.

  • Die gezielte Mutagenese ist ein Sammelbegriff zur Beschreibung von Verfahren, die eine oder mehrere spezifische Mutationen an ausgewählten Zielorten im Genom auslösen. Die Veränderungen erfolgen, ohne dass genetisches Material eingeführt wird.
  • Cisgenese bezeichnet eine Veränderung des genetischen Materials eines Organismus durch eine Sequenz derselben oder einer eng verwandten Spezies. Die neue Sequenz enthält eine exakte Kopie der Sequenz, die bereits im Genpool der Züchter vorhanden ist. Der Genpool besteht aus dem Satz aller genetischen Informationen für eine bestimmte Spezies, die Pflanzenzüchtern zur Verfügung steht.
  • Intragenese bezeichnet eine Veränderung des genetischen Materials eines Organismus durch die Kombination verschiedener Sequenzen derselben oder einer eng verwandten Spezies. Die neue Sequenz enthält eine neu angeordnete Kopie von Sequenzen, die bereits im Genpool der Züchter vorhanden sind.
  1. Wie unterscheiden sich Pflanzen, die durch neue genomische Verfahren gewonnen werden von Pflanzen, die mittels etablierter Verfahren zur genetischen Veränderung oder traditioneller Züchtung gewonnen werden?

Einige mit diesen neuen genomischen Verfahren gewonnene Pflanzen weisen bisweilen nur geringfügige Veränderungen auf, die auch in der Natur oder durch traditionelle Züchtung auftreten können. Andere können jedoch auch mehrere und umfassende Mutationen aufweisen, die möglicherweise Pflanzen ähneln, die durch in den letzten beiden Jahrzehnten verwendete, etablierte Verfahren zur genetischen Veränderung gewonnen wurden.

  1. Anhand welcher Kriterien sollten unseren Sachverständigen zufolge die Risiken durch Pflanzen bewertet werden, die durch gezielte Mutagenese, Cisgenese und Intragenese gewonnen werden?

Die von den Wissenschaftlern der EFSA vorgeschlagenen Kriterien werden in einer Stellungnahme der EFSA beschrieben. Die ersten vier der sechs Kriterien beziehen sich auf die molekulare Charakterisierung der genetischen Veränderung, die in die Empfängerpflanze eingeführt wurde. Sie bewerten,

  1. ob eine fremde („exogene“) DNA-Sequenz vorhanden ist;
  2. wenn ja, ob die Sequenz aus dem Genpool der Züchter stammt;
  3. wie die Sequenz integriert wird (z. B. zufällig oder gezielt);
  4. ob ein Gen einer Wirtspflanze durch die neu eingeführte Sequenz „unterbrochen“ (gespalten) wurde.

Anhand der Kriterien 1 bis 4 soll festgestellt werden, ob cisgene und intragene Sequenzen zu einer Veränderung der Gene der Wirtspflanze geführt haben. Ist dies nicht der Fall oder wurde bei Einführen eines Fremdgens kein Risiko festgestellt, gelten zwei weitere Kriterien:

  1. Ist eine bisherige Verwendung nachgewiesen?
  2. Andernfalls sollten die Struktur und die Funktion der modifizierten Varianten der DNA-Sequenz („Allele“) sorgfältig bewertet werden.

Diese beiden Kriterien gelten auch für Pflanzen, die im Rahmen einer gezielten Mutagenese gewonnen werden.    

  1. Was ist unter „bisheriger Verwendung“ zu verstehen, und wie kann sie bewertet werden?

Die Bewertung der bisherigen Verwendung sollte ein wichtiger Bestandteil der angemessenen Risikobewertung cisgener, intragener und durch gezielte Mutagenese gewonnener Pflanzen sein, da die neu veränderten DNA-Varianten („Allele“) in der Natur bereits vorhanden sein können. Dieses Konzept hat sich bei der Bewertung genetisch veränderter Organismen (GVO), die vor 2001 entwickelt wurden, bewährt. Der Nachweis einer bisherigen Verwendung beruht darauf, dass eine Pflanze ganz oder teilweise über einen längeren Zeitraum mit der Nahrung aufgenommen wurde (Lebensmittel und/oder Futtermittel und abgeleitete Erzeugnisse), ohne dass gesundheitsschädliche Auswirkungen für den Verbraucher festgestellt wurden, und dass die Exposition durch eine neue Verwendung innerhalb des Bereichs der „bisherigen“ Verwendung liegen wird. Ähnliche Ansätze werden bei der Bewertung von Umweltrisiken herangezogen.

Wenn die bisherige Verwendung der neu veränderten DNA-Sequenz (Allel) nicht ausreichend belegt werden kann, sollten die Struktur und die Funktion der Sequenz sorgfältig bewertet werden (Schritt 6 der vorgeschlagenen Kriterien).

  1. Geht die Stellungnahme auf das Thema der Off-Target-Wirkungen ein?

Off-Target-Wirkungen sind unbeabsichtigte Mutationen, die in anderen Genomstellen als der vorgesehenen eingeführt werden. Bei Pflanzen, bei denen die gezielte Integration der neu veränderten DNA-Sequenz erfolgreich war, wird es Fälle geben, in denen das Potenzial unbeabsichtigter Effekte, wie z. B. Off-Target-Wirkungen, im Vergleich zu zufälligen Integrationen oder konventionellen Züchtungen deutlich reduziert ist. In diesem Fall können die Datenanforderungen für die Risikobewertung im Einzelfall reduziert werden.

  1. Warum ersuchte die Europäische Kommission die EFSA um diese wissenschaftliche Beratung?

Die Kommission beauftragte die EFSA damit, die Schlussfolgerungen aus ihren früheren wissenschaftlichen Gutachten und einschlägigen Leitliniendokumenten auf diesem Gebiet heranzuziehen und wichtige Kriterien für die Risikobewertung von Pflanzen vorzuschlagen, die mithilfe neuer genomischer Verfahren gewonnen werden. Die für die Vorschläge herangezogenen wissenschaftlichen Dokumente umfassen die Bewertung genetisch veränderter Pflanzen, d. h. von Pflanzen, die durch Cisgenese und Intragenese, gezielte Mutagenese und synthetische Biologie geschaffen werden, sowie die Bewertung der Allergenität und der Proteinsicherheit von aus der Biotechnologie gewonnenen Lebens- und Futtermitteln.

Die EFSA unterstützt mit ihrer Arbeit die laufende politische Initiative der Europäischen Kommission zu neuen genomischen Verfahren. Weitere Informationen sind auf der Website der Kommission verfügbar.

  1. Welche Rolle spielt die EFSA in Bezug auf neue genomische Verfahren?

Die Aufgabe der EFSA besteht darin, die Sicherheit von Lebensmitteln für Mensch, Tier und Umwelt zu bewerten. In unserer Stellungnahme zu den Kriterien für die Risikobewertung von Pflanzen, die durch gezielte Mutagenese, Cisgenese und Intragenese gewonnen werden, wird der Stand der bisherigen Arbeiten zusammengefasst. Dies ist der erste Schritt zur Festlegung eines soliden, wissenschaftlich fundierten Rahmens, um die Risiken dieser Verfahren für Lebens- und Futtermittel und die Umwelt im Einzelfall zu bewerten. Im Rahmen der Stellungnahme werden Anwendungsmöglichkeiten bestehender Risikobewertungsmethoden aufgezeigt sowie Lücken in den derzeitigen Ansätzen und Datenanforderungen hervorgehoben. Es ist nicht Aufgabe der EFSA, vorzugeben, wie sich die europäische Landwirtschaft entwickeln sollte oder ob neue Technologien erforderlich sind, um politische Ziele, wie etwa nachhaltigere Lebensmittelsysteme, zu erreichen.

Die EFSA wird den Risikomanagern im Bereich der Gentechnik weiterhin technische Unterstützung und wissenschaftliche Beratung zur Verfügung stellen, damit die Lebensmittel für die Verbraucher in der EU sicher sind.

  1. Sind sich die Bürgerinnen und Bürger in der EU über die Verwendung neuer genomischer Verfahren in der Lebensmittelherstellung bewusst oder sind sie besorgt?

Zwei kürzlich durchgeführte Erhebungen der EFSA – eine Kurzumfrage im Jahr 2021 und das Eurobarometer 2022 zur Lebensmittelsicherheit – offenbarten, dass die Bürgerinnen und Bürger in der EU nur wenig über neue genomische Verfahren wissen. Aus dem Eurobarometer ging hervor, dass der Einsatz neuer Biotechnologien in der Lebensmittelherstellung kein häufig genannter Anlass zu Besorgnis ist. Nur 8 % derjenigen, die um den Einsatz wussten, gaben an, dass dieser zu den fünf wichtigsten Themen zählt, die ihnen Sorge in Bezug auf die Lebensmittelsicherheit bereiten. Allerdings ergab die Kurzumfrage, dass die Bürgerinnen und Bürger die möglichen Risiken als eine wichtige Informationslücke wahrnahmen und rund zwei Drittel (69 %) mehr darüber wissen wollten.

  1. Wie erfahre ich mehr über die Arbeit der EFSA zu neuen genomischen Verfahren?

Am 12. Dezember 2022 wird die EFSA eine öffentliche Sitzung mit Interessenträgern abhalten, die sich mit diesem Thema befassen. Während der Veranstaltung erhalten die Teilnehmer die Gelegenheit, sich an einer interaktiven Podiumsdiskussion zu beteiligen, in der es ausschließlich um die Risikobewertung und die wissenschaftlichen Aspekte neuer genomischer Verfahren geht.